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Nachbarrecht: „Ausgerastet“

(ho) Eigentümerin E verklagt den Veräußerer ihres erworbenen Grundstücks sowie ihren Nachbarn N auf Ersatz eines Schadens, den sie im Zusammenhang mit dem Erwerb und einer später erfolgten Veräußerung ihres Grundstücks erlitten hat. Vor und beim Erwerb des zunächst unbebauten Grundstücks klärte der Veräußerer die Klägerin E nicht über die „besonderen menschlichen Qualitäten“ ihres späteren Nachbarn N auf. Insbesondere blieb unerwähnt, dass gegen N in den Jahren 2007-2013 verschiedene Strafverfahren geführt wurden und dass er 2008 von seiner damaligen Nachbarin zivilrechtlich auf Unterlassung nachstellenden Verhaltens in Anspruch genommen worden ist.

Nach Einzug in das neu erbaute Einfamilienhaus auf diesem Grundstück verfolgt, bedroht und beleidigt der häufig alkoholisierte N die E und ihre minderjährigen Töchter, läuft ein Beil schwingend hinter ihnen her, kündigt ein anderes Mal an, er werde nun seine Pistole holen, bedroht die Attackierten so mit dem Tode, beschädigt ihre Fahrzeuge und zeigt sich einmal nackt in der Grundstückseinfahrt der E. E verkauft das Hausgrundstück und macht in ihrer Klage den Differenzschaden aus dem Hausverkauf mit einem Erlös unterhalb der Anschaffungs- und Herstellungskosten (56.000 €), die anlässlich des Verkaufs aufgewendete Maklercourtage (20.349 €), Kosten für einen zwischenzeitlichen Umzug in eine Mietwohnung (10.000 €), Erwerbsnebenkosten für ein neues Hausgrundstück sowie leerstandbedingt angefallener Kosten in Höhe von 18.000 € des wieder veräußerten Hauses geltend.

Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 5.11.2021 - 10 U 6/20, NZM 2022, 189) weist die Klage gegen den Grundstücksveräußerer ab. Ein Schadensersatzanspruch aus § 437 Abs. 3, 280, 281 BGB bestehe nicht. Einwirkungen, die nur durch Störungen von Nachbarn ausgehen, stellten keinen Sachmangel des Grundstücks dar (ebenso: BGH, NJW 1991, 1673, 1675; AG Frankfurt/Main, DWW 2005, 431 = BeckRS 2004, 30345338; OLG Karlsruhe, WuM 1999, 640 = BeckRS 1998, 30994721). Auf die Beschaffenheit des Grundstücks komme es aber an. Der Verkaufszweck - Erwerb und Bebauung des Nachbargrundstücks - bleibe unabhängig von einem Nachbarn als Wüterich weiter gewahrt; das Grundstück bleibe für eine Bebauung trotzdem tauglich.

Schadensersatz schulde der Veräußerer auch nicht aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Zwar habe der Verkäufer Aufklärungspflichten, die sich auch auf das Verhalten eines Nachbarn beziehen können. Das sei anzunehmen, wenn das nachbarliche Verhalten dazu geeignet sei, den Nutzungswert des verkauften Grundstücks erheblich zu beeinträchtigen und deshalb auf den Kaufentschluss Einfluss zu nehmen. Erforderlich sei aber ein schikanöses nachbarliches Verhalten erheblichen Ausmaßes, um eine (ungefragte) Aufklärungspflicht entstehen zu lassen (vgl. BGH, NJW 1991, 1673, 1675; OLG Frankfurt/Main, DWW 2005, 431 = BeckRS 2004, 30345338; OLG München, BeckRS 2012, 10901; OLG Koblenz, MDR 2021, 647 = BeckRS 2021, 3988). Diese Voraussetzungen sieht das Gericht im Ergebnis als nicht gegeben an (wird im Einzelnen ausgeführt).

Gegenüber dem „wohlmeinenden Nachbarn“ N spricht das OLG Karlsruhe Schadensersatz in Höhe von 44.012,79 € aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 238 Abs. 1 StGB zu. Durch sein Verhalten habe N den Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB) verwirklicht. Die Vorschrift sei „Schutzgesetz“ im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB; denn sie diene dazu, den Einzelnen vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der eigenen freien Lebensgestaltung zu bewahren (Rn. 52 der Entscheidungsgründe mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur). Ein Zurechnungszusammenhang zwischen der von N begangenen Straftat und dem nachfolgenden Umzug der E mit ihren Töchtern liege einschließlich der in Folge aufzuwendenden Kosten für die zwischenzeitlich angemietete Wohnung vor. Damit sei die Pflicht zum Schadensersatz begründet. Das gelte auch für die Erwerbsnebenkosten zur Anschaffung der zweiten Immobilie.

Nicht ersatzfähig seien die Kosten des Mindererlöses beim Verkauf des ersten Hauses, die Nebenkosten der Veräußerung, sowie die Kosten, die infolge des Leerstands des verkauften Hauses bis zum Zahlungseingang der Kaufsumme entstanden seien, ebenso nicht die Kosten, die für den Erwerb des Grundstücks und den Bau des wiederveräußerten Hauses angefallen seien.
Schließlich sei der ausgeurteilte Schadensersatzanspruch auch aus § 823 Abs. 2 BGB, § 241 StGB (Bedrohung) zuzuerkennen.

Lesetipp:
Broschüre „Abwehr nachbarlicher Störungen", ISBN-Nr. 978-3-96434-007-8, 213 Seiten, Preis 14,95 € zuzüglich Versandkosten bei Einzelbestellung, zu beziehen über Haus und Grund Stade.

© Dr. Hans Reinold Horst

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